Während der fünfzigste Jahrestag des „Kniefalls von Willy Brandt“ und der Unterzeichnung des Warschauer Vertrags in bundesdeutschen Printmedien, Radio und Fernsehen eine breite Öffentlichkeit fand, scheint der Aufstand der Werftarbeiter:innen vergessen. Unsere Redakteurin Sarah Graber Majchrzak zeigt den unmittelbaren Zusammenhang beider Ereignisse und diskutiert die Bedeutung, die den Protesten der Arbeiter:innen im Dezember 1970 für die Entstehung der Solidarność und darüber hinaus zukommt. Unsere Vorveröffentlichung aus Heft 29 der Sozial.Geschichte Online findet sich hier zum kostenfreien Download.
Im Dezember 1970 ereigneten sich in Polen zwei für die europäische Geschichte wichtige Vorgänge: Am 7. Dezember 1970 entschuldigte sich der Bundeskanzler Willy Brandt öffentlich für die Verbrechen der Deutschen während des Zweiten Weltkriegs, kniete vor dem Mahnmal für den Aufstand im Warschauer Ghetto nieder und unterzeichnete anschließend den Warschauer Vertrag. Eine Woche später, am 14. Dezember 1970, protestierten die Arbeiter:innen der Danziger Leninwerft gegen die von der polnischen Regierung bekanntgegebene Erhöhung der Lebensmittelpreise und lösten damit eine Regierungskrise aus. Während der fünfzigste Jahrestag des „Kniefalls von Willy Brandt“ und der Unterzeichnung des Warschauer Vertrags in bundesdeutschen Printmedien, Radio und Fernsehen eine breite Öffentlichkeit fand, scheint hingegen der Aufstand der Werftarbeiter:innen vergessen. Erst kürzlich ist das Buch von Sarah Graber Majchrzak „Arbeit – Produktion – Protest. Die Leninwerft in Gdańsk und die AG »Weser« in Bremen im Vergleich (1968–1983)“ erschienen. Aus einer Perspektive „von unten“ zeigt die vergleichende Studie auf, wie Betriebe in zwei unterschiedlichen politisch-ökonomischen Systemen seit den 1970er Jahren auf technische Veränderungen und die verschärfte Konkurrenz auf dem Weltmarkt reagierten.