Seit dem ersten Erscheinen der Online-Variante von Sozial.Geschichte ist „Stadt“ ein wichtiges Thema. Hier stellen wir einige Texte zu diesem Thema kurz vor. Durch Anklicken des Titels wird das PDF der Artikel heruntergeladen.
Schwerpunkt der Beiträge in der Zeitschrift ist nicht in erster Linie die Logik von Gentrifizierungsprozessen, vielmehr legen die meisten Texte ihren Fokus auf den Zusammenhang zwischen Ökonomisierung des städtischen Raums und der städtischen Funktionen und aktuellen urbanen Sozialprotesten.
Insbesondere nehmen Autor/innen seit 2009 Aktionen in den proletarischen Vorstädten Westeuropas in den Blick, dabei ihrer historische Logik und Verlaufsformen sowie ihre jeweils aktuellen Bezugnahmen auf andere Sozialbewegungen reflektierend.
Das gilt etwa für Laurent Mucchiellis „Urbane Aufstände im heutigen Frankreich“ (2/2010) aus dem Jahr 2010. Mucchielli schildert die Aufeinanderfolge der Versuche, den Problemen der Armut und der Ausbeutung eine Stimme zu verleihen und der gewaltförmigen Konflikte mit der Polizei, wobei er die Rationalität der Riots betont.
Überraschen mag, dass einige Jahre später ein Text erscheint, der ähnliche Entwicklungen auch für Schweden konstatiert. Catharina Thörn rekonstruiert 2013 den „Aufstand in Stockholm und [den] Mythos der schwedischen Sozialdemokratie“ (11/2013). Dabei verweist die Autorin vor allem auf die Folgen der privaten Aneignung der Bauten des früheren staatlichen „Millionenprogramms“ in den Großstädten und das damit verbundene zentral- wie lokalstaatliche neoliberale Programm.
Stärker fokussiert auf die Dynamik von Bewegungsereignissen selbst ist dagegen der Text der Gruppe „The Free Association“ aus Leeds, die in „Let England Shake“ (8/2012) den Zusammenhang verschiedener Sozialproteste analysiert. In England schienen sich die Aktionen von Studierenden gegen die Verschärfung der sozialen Selektion an den Unis, Arbeiter_innenproteste gegen Sozialkürzungen sowie die Riots in London im Jahre 2011 für kurze Zeit aufeinander zu beziehen.
Auch in anderen Ländern war nicht nur die Krise Ausgangspunkt von städtischen Revolten, sondern auch umgekehrt. Namentlich in Griechenland: Wie Gregor Kritidis in „Die Demokratie in Griechenland zwischen Ende und Wiedergeburt“ (6/2011) schildert, begann der Bewegungszyklus dort bereits 2008 als Stadt-Protest gegen die Ermordung eines jungen Manns im Athener Stadtteil Exarchia.
Viele der Texte in Sozial.Geschichte zu Krisenprotesten haben auch eine stadtpolitische Dimension: So werden in Heft 7 (2012) und Heft 8 (2012) der Zeitschrift Zusammenhänge zwischen Platzbesetzungen und Kämpfen um den Gesundheits- und Bildungssektor in Spanien etwa ebenso thematisiert wie der spezifisch urbane Charakter der Occupy-Bewegung in den USA. Zu den Krisenprotesten wurde bei Assoziation A eine Anthologie aus Texten der Zeitschrift veröffentlicht.
Ihre Spuren hinterließ schließlich auch die Recht-auf-Stadt-Bewegung in der Bundesrepublik. Deren Aufkommen schildert Peter Birke am Beispiel Hamburgs 2010 in „Herrscht hier Banko? Die aktuellen Proteste gegen das Unternehmen Hamburg“ (3/2010). Im selben Jahr schreibt Alexander Schlager über „Die Proteste gegen Stuttgart 21“ (4/2010). Während Schlager eine Chronologie der Massenproteste bietet und diese mit einer kritischen Würdigung von Theorien zur Post-Demokratie verbindet, greift Birke auf die Genealogie der „unternehmerischen Stadt“, ihre Leitbilder sowie die mit ihr verbundene schnelle soziale Polarisierung zurück.
Dieses Motiv weiterführend, fragt derselbe Autor in „Diese merkwürdige, zerklüftete Landschaft. Anmerkungen zur Stadt in der Revolte“ (6/2011) nach der historischen Entwicklung einer Verräumlichung von Klassenkämpfen.
Neben dieser Skizze zur Genealogie urbaner Protestbewegungen findet sich, aufgrund der damals virulenten Räumungsdrohung aus aktuellem Anlass, schließlich 2014 ein weiterer Text von Birke in Sozial.Geschichte: In „Autonome Sehenswürdigkeit. Die Rote Flora und die Hamburger Stadtentwicklung seit den späten 1980er Jahren“ (13/2014) wird dabei die lokale Geschichte eines sozialen Zentrums im Kontext der Hamburger Stadtgeschichte insgesamt verortet.
Ein konzeptioneller, auf die aktuelle Forschungslandschaft bezogener Beitrag ist Max Henningers „Zur Transformation des Urbanen“ (3/2010). Der Autor plädiert für ein Begreifen von „Urbanisierung“ als ökonomisch-sozialer Entwicklung im globalen Maßstab, dabei kritisch Bezug nehmend auf Texte aus der englischsprachigen Kritischen Geografie seit den 1990er Jahren.
Am anderen Ende des Spektrums zwischen Konzeption und Konkretion findet sich schließlich der Artikel von Florian Hohenstatt, Moritz Rinn und Peter Birke, die ihre Erfahrungen mit der Organisierung von Protesten gegen unternehmerische Stadtpolitik am Beispiel von Hamburg- Wilhelmsburg reflektieren: In „Gentrifizierung, Aktivismus und „Rollenspiele“. Erfahrungen am Hamburger Stadtrand“ (16/2015) plädieren sie, ähnlich wie in der darauffolgenden Ausgabe Lisa Vollmer am Beispiel der Berliner Mieter_innenbewegung (17/2015), für eine „hybride“ Aneignung von Stilmitteln und Formen des Protestes als Option, die nicht zuletzt die soziale Spaltung der Protestbewegungen selbst anzufechten vermag.
Neben den erwähnten Texten finden sich im Register der Zeitschrift außerdem rund zwanzig Rezensionen zu aktueller Literatur rund um das Thema Stadt, Gentrifizierung, Protest – diese hier einzeln aufzuführen, würde sicherlich den Rahmen eines Dossiers sprengen.