The new urban frontier: Ein Buch von Katarina Despotović und Catharina Thörn

Bei den in Heft 21 veröffentlichten Fotografien handelt es sich um Ausschnitte einer Arbeit von Katarina Despotović, die die Künstlerin uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Die Aufnahmen dokumentieren die Gentrifizierung des migrantisch und proletarisch geprägten Göteborger Stadtteils Hisingen. Sie werfen zugleich ein Licht auf die damit verbundenen alltäglichen sozialen Konflikte und Kämpfe. Die Fotos sind in einem von Despotović und der Stadtsoziologin Catharina Thörn veröffentlichten Bildband erschienen, der in der vorliegenden Ausgabe von Peter Birke rezensiert wird. Hier zeigen wir die gesamte in Heft 21 abgedruckte Serie.

Despotovic - Göteborg 1

Hisingen, Göteborg

Quelle: Despotović & Thörn (2015), S. 140/141.

Kvillebäcken ist ein Göteborger Quartier auf der Insel Hisingen, wo seit vielen Jahrzehnten Arbeiter_innen der nahen Industriegebiete wohnten. Um das Jahr 2010 begann die kommunal geführte Stadtentwicklungs-Gesellschaft Älvstadens Utvecklings AB, eine gezielte Gentrifizierung des nur wenige Minuten von der Innenstadt entfernten Gebiets einzuleiten. Die Fotografin Katarina Despotović und die Soziologin Catharina Thörn haben den daraus entstehenden Konflikt dokumentiert. In der vorliegenden Ausgabe veröffentlichen wir – mit der Erlaubnis der Autor_innen, für die wir sehr herzlich danken – einige ausgewählte Bilder aus dem Band. Die dazu gehörenden Texte wurden von Peter Birke übersetzt, siehe auch die Rezension in Heft 21 der Sozial.Geschichte Online.

Das Plakat vor der Brachfläche behauptet, dass „Du mit ein bisschen Phantasie die Sonne über den Dächern untergehen sehen kannst“. Links befindet sich das Geschäft Akbars Chark (Akbars Fleischerei).

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Despotovic - Göteborg 3

Portrait Shamsi Naemsai, Akbars Chark

Quelle: Despotović & Thörn (2015), S. 138.

„Dann wurde ich 2006 von einem Rechtsanwaltsbüro kontaktiert. Sie sagten, sie würden einen Kunden repräsentieren, der anonym kaufen wolle. Ich fand, das wirkte total verdächtig. Anonym kaufen! Aber ich wurde neugierig und entschied mich, den Rechtsanwalt zu treffen, um mehr herauszufinden. Aber verkaufen? Niemals!“

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Despotovic - Göteborg 6

Sture Svedne vor seinem Laden

Quelle: Despotović & Thörn (2015), S. 57.

Gustaf A. Svenssons Eisenhandel war die Adresse für alle, die einen alten Türbeschlag aus den 1940er Jahren kaufen wollten. Das Geschäft bestand seit 1889, und dort gab es einfach alles. Aber das Gericht entschied, dass die Kündigung des Mietvertrags gültig sei und dass der Laden ausgeräumt werden müsse. Als das Umzugsunternehmen kam, stand Sture an seinem Schlafzimmerfenster auf der anderen Straßenseite gegenüber. Ein Container kam angefahren und die Sachen wurden einfach hinein geschmissen. Als Sture protestierte, sagte der Vormann nur: „Ist doch alles nur alte Scheiße, voll mit Rattenscheiße.“

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Despotovic - Göteborg 2

Portrait Bintou Bah, Afromix

Quelle: Despotović & Thörn (2015), S. 65.

„Ich heißt Bintou Bah, und mir gehört der Laden Afromix. Ich habe vorher als Reinigungskraft im Sahlgrenska-Krankenhaus gearbeitet. Habe direkt da angefangen, als ich 1980 nach Schweden gekommen bin. 25 Jahre lang – kannst du dir das vorstellen? Ich habe fünf Kinder, vier Söhne und eine Tochter. Mein Mann ist gerade sehr krank. Er hatte mehrere Infarkte und hat sich noch nicht wieder erholt. Das ist für die ganze Familie ziemlich hart. […] Mit dem Geschäft ging es am Anfang ziemlich gut. Aber ich habe mich gewundert, als die angefangen haben, das Haus nebenan abzureißen. Das hat alles verändert. Nicht mehr so viele Leute auf der Straße. Aber ich habe ja immer noch meine Stammkunden, und ich habe einen Teil des Ladens einem Frisör überlassen, sodass wir uns die Miete teilen können. Ich weiß nicht, wie das jetzt alles werden soll; irgendwer hat gesagt, hier kommen Wohnungen hin. Aber wie es auch kommt, ich hoffe, die, die hierherkommen, mögen afrikanische Waren. Das wird bestimmt gut, wirst Du schon sehen!“

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Despotovic - Göteborg 4

Kauko Railovaara, Vereinigung „Souvarit“

Quelle: Despotović & Thörn (2015), S. 91.

„Ich kam gerade aus der Hauptschule, da haben meine Eltern beschlossen, nach Schweden zu gehen. Es gab keine Jobs in Finnland, deshalb hatten wir nicht viel zu wählen. Ich fing sofort an zu arbeiten. Ich konnte kein Wort Schwedisch, aber das lernte man dann. […] Irgendwann habe ich einen Job in der Farbfabrik bekommen, die damals hier war. Ich mag den Stadtteil sehr. Und für unsere Vereinigung sind die Lokalitäten echt super. […] Wir haben hier halt sehr viel selbst gemacht. Der alte Vermieter hat uns einen riesigen Mietnachlass dafür gewährt. Wir wussten ja nicht, dass er irgendwann verkauft. Die neuen haben die Mieten gleich um mehrere Tausend erhöht. Ich habe versucht zu erklären, wie es zu der alten Miete kam, aber das war denen egal.“

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Despotovic - Göteborg 5

Seija Sunnanborg, Karaoke-Meisterin, vor ihren Pokalen

Quelle: Despotović & Thörn (2015), S. 91.

„Ich liebe es zu singen. Aber das wusste ich noch nicht mal selbst, bevor ich 2005 zu Souvarit kam. Ich bin eigentlich Masseurin. Ich war zufällig mit meiner Massagebank bei Souvarit, um Behandlungen für die Leute anzubieten, da fand ein Mittags-Karaokewettbewerb statt. Ich wurde neugierig und habe es ausprobiert. Erst war ich ziemlich schüchtern, aber als ich auf der Bühne war, habe ich das alles vergessen. Da habe ich kapiert, dass ich mein Zuhause gefunden habe.“