Im Herbst haben wir einen Text von Helmut Dietrich über Grenzregime und Sozialproteste in Marokko veröffentlicht. Aktuell spitzt sich die Lage in Marokko zu. In jedem der supermodernen Fußballstadien, in denen der Afrika-Cup seit dem 21. Dezember 2025 läuft, wurde auf die Schnelle eine Polizeistation errichtet, verbunden mit einer für ebenfalls supermodernen Rundum-Videoüberwachung. Das marokkanische Königshaus sieht sich – auch als Co-Gastgeber der WM 2030 – auf dem Weg zu einer kontinentalen Großmacht. Das Land befindet sich in einem momentan stillhaltenden Aufruhr. Aufstände vor allem von Jugendlichen haben das Land erschüttert, mit der Forderung nach Schulen und Krankenhäusern statt Großprojekten wie die neuen Fußballstadien. Nationale Fußballspieler haben die Forderungen der „Generation Z“ öffentlich unterstützt.
Kurz vor Beginn des Afrika-Cups ereigneten sich soziale Katastrophen, die sogar internationale Aufmerksamkeit fanden. In Fes stürzten am 10. Dezember 2025 zwei benachbarte Häuser zusammen. 22 dorthin umgesiedelte Slumbewohner starben unter den Trümmern der neuen Häuser, die mit miserablem Baumaterial errichtet worden waren. Am 14. Dezember 2025 starben mindestens 37 Arme der Altstadt von Safi, als Wassermassen eines Unwetters in ihre maroden Wohnungen eindrangen.[1] Ungewarnt hatten sie sich ins Hintere ihrer maroden Häuser geflüchtet.
Diese sozialen Katastrophen und die Repression gegen die Gen-Z-Bewegung im Herbst 2025 sorgen für ein Weiterleben der sozialen und politischen Unzufriedenheit. Es wird die Freiheit der Gefangenen, die Einstellung der Ermittlungsverfahren und die Aufklärung der Todesschüsse der Gendarmerie bei Agadir (drei tote Demonstranten) verlangt.[2] Wie die Wochenzeitschrift Telquel am 29. Oktober meldete, laufen 2.480 Ermittlungsverfahren, und über 1.200 Gefangene gibt es derzeit. Momentan möchte man nicht gegen das Fußballspielen selbst demonstrieren.
Andernorts, an der Grenze zur spanischen Enklave Ceuta, gehen die Aktionen gegen die Festung Europa weiter. Tausende marokkanische Jugendliche versuchen seit 2020 gemeinsam mit westafrikanischen und sudanesischen Geflüchteten, von Marokko aus in die spanische Enklave Ceuta zu gelangen. Dabei gehen sie mit Steinwürfen gegen Absperrungen in der marokkanischen Stadt Fnideq vor, um dann schwimmend oder über die Zäune kletternd nach Europa zu gelangen. Auf spanischer Seite der Festung wurden im Jahr 2025 44 Tote, zumeist noch in Neopren-Anzügen, angeschwemmt, auf marokkanischer Seite werden sie nicht gezählt.
Bei dem starken Sturm in der zweiten Dezemberwoche stellten sich die unzähligen Sensoren der marokkanisch-spanischen Grenzbefestigungen automatisch auf Alarm. Spanische Luftaufklärung dirigierte marokkanische Grenztruppen in die marokkanischen Berge vor Ceuta, um aufbrechende Menschen massenweise zu verhaften. Aber vor allem Geflüchtete aus Westafrika nutzen die Ausfälle der Grenz-High-Tech und überwanden erfolgreich die Zäune nach Europa.[3]
[1] https://www.liberation.fr/international/afrique/au-maroc-des-crues-eclair-font-21-morts-dans-la-ville-cotiere-de-safi-20251215_KNQM3FSQFJB4RNBQRQUFSR65NU/
[2] https://enass.ma/lqliaa-six-revelations-damdh-qui-brisent-le-recit-officiel/
[3] https://www.elconfidencial.com/espana/2025-12-18/migrantes-marruecos-ceuta-valla-1tps_4269057/ ; https://elfarodeceuta.es/guardia-civil-herido-valla-inmigrante-portaba-gancho/